Bislang regelte die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27. November 2003, welche auch kurz als EuEheVO oder Brüssel IIa-Verordnung bezeichnet wurde, die internationale Zuständigkeit der Gerichte innerhalb der EU in Ehe- und Kindschaftssachen. Die Brüssel IIa- Verordnung wurde nun zum 01.08.2022 durch die neue Brüssel II b- Verordnung abgelöst.
Ab dem 01.08.2022 regelt die Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen die internationale Zuständigkeit im Eheverfahrensrecht, in Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung sowie in Verfahren über internationale Kindesentführungen. Art. 65 Brüssel II a-Verordnung sah vor, dass die Praxistauglichkeit der Verordnung zu evaluieren sei. Auf der Grundlage des hierzu erstellten Praxisberichts wurden in der Brüssel II b- Verordnung nunmehr insbesondere im Bereich des Kindschaftsrechts einige Änderungen vorgenommen. Im Eheverfahrensrecht wurden nur geringfügige Änderungen vorgenommen. Die Brüssel IIb- Verordnung gilt nach Art. 100 Brüssel II b- Verordnung für alle ab dem 01.08.2022 eingeleiteten Verfahren.
Die Neuerungen der Brüssel II b- Verordnung gegenüber der Brüssel II a- Verordnung im Bereich des Kindschaftsrechts beziehen sich auf die Anhörung des Kindes in allen Verfahren über die elterliche Verantwortung, das Erfordernis des Exequaturverfahrens (ein Verfahren zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen), die Vollstreckung von Entscheidungen, Verfahren zur Kindesrückgabe, die Unterbringung von Kindern in einem anderen Mitgliedstaat sowie die Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen zentralen Behörden der beteiligten Länder.
In der Brüssel IIa- Verordnung war lediglich für HKÜ- Verfahren in Art. 11 Abs. 2 Brüssel IIa- Verordnung eine persönliche Anhörung des Kindes entsprechend des Alters- und Reifegrades vorgesehen, nicht aber in allen anderen Verfahren bezüglich der elterlichen Verantwortung. In Art. 21 Brüssel IIb- Verordnung wird nunmehr ein grundsätzliches Recht des Kindes auf Meinungsäußerung im Prozess eingeführt. Die Modalitäten der Anhörung unterliegen jedoch weiterhin den nationalen Vorschriften. In Art. 39 der Brüssel IIb- Verordnung ist vorgesehen, dass bei unterbliebener Anhörung die Anerkennung der Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat versagt werden kann.
Eine weitere Neuerung bezieht sich auf die Abschaffung des Exequaturverfahrens in Verfahren über die elterliche Verantwortung. Das Exequaturverfahren, also ein Verfahren zur Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung war nach Art. 28 Brüssel IIa- Verordnung in Verfahren über die elterliche Verantwortung stets erforderlich. Nach neuer Rechtslage ist nach Art. 34 Abs. 1 Brüssel IIb-VO i.V.m. Erwägungsgrund 58 ist ein solches Verfahren nun nicht mehr notwendig. Die Vollstreckung kann nun jedoch aufgrund Art. 41 i.V.m. Art. 39 Brüssel IIb- Verordnung versagt werden, z.B. bei unterbliebener Meinungsäußerung des Kindes. In Extremfällen kann die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung somit immer noch ausnahmsweise versagt werden.
Auch im Bereich der Verfahren gegen internationale Kindesentführungen gibt es Neuerungen. Bislang enthielt die Brüssel IIa- Verordnung lediglich in Art. 11, wonach die Gerichte in solchen Fällen „schnell“, spätestens nach sechs Wochen entscheiden sollten. Da die Regelung jedoch weitgehend unbekannt geblieben ist, wurde sie in einigen Mitgliedstaaten häufig nicht eingehalten. Die Brüssel IIb- Verordnung enthält nun in Art. 22-29 ein eigenes Kapitel zu Verfahren gegen internationale Kindesentführungen, deren Vorschriften im Einklang mit dem HKÜ anzuwenden sind.
Für Rückführungsverfahren sollen die schnellsten nationalen Verfahren durchgeführt werden. Das erstinstanzliche Gericht muss gemäß Art. 24 Abs. 2 Brüssel IIb- Verordnung nun nach sechs Wochen ab Antragstellung eine Entscheidung erlassen, ebenso das Berufungsgericht. Auch die Vollstreckung soll innerhalb von sechs Wochen durchgeführt werden. Bei Fristüberschreitung kann die antragstellende Partei die Angabe von Gründen verlangen. Darüber hinaus wird die Überschreitung der Fristen jedoch nicht sanktioniert. Ferner wird in Art. 25 Brüssel II b- Verordnung angeregt, dass die Parteien Mediation in Anspruch nehmen, was in der Brüssel IIa- Verordnung noch nicht vorgesehen war. Da die Parteien in Fällen der internationalen Kindesentführung in der Regel höchst zerstritten sein dürften, bleibt der Nutzen der Regelung abzuwarten.
Weitere Neuerungen sieht die Brüssel IIb- Verordnung im Bereich der Unterbringung von Kindern in einem anderen Mitgliedstaat sowie im Bereich der Zusammenarbeit der zentralen Justizbehörden vor.
Festzuhalten bleibt, dass die Verordnung nach Art. 81 Abs. 3 AEUV aufgrund eines einstimmigen Ratsbeschlusses ergehen musste und somit als kleinster gemeinsamer Nenner einen Kompromiss zwischen den Mitgliedsstaaten der EU darstellt, deren Praxistauglichkeit die Zeit zeigen wird.